Archiv der Kategorie: Untersuchung

Erst 730 Euro Hartz-IV-Satz decken das soziokulturelle Existenzminimum

Übernahme eines Interviews der NachDenkSeiten vom 28. Mai 2015 mit mir

 

Dass der vieldiskutierte Eckregelsatz viel zu niedrig ist, weiß inzwischen jedes Kind. Dass allerdings auch die Kritiken an dessen Höhe üblicherweise systemimmanent sind und die Kritiker also bisher der Frage nach den realen Bedarfen der Menschen im Lande aus dem Wege gegangen sind, das ergab die heute aktualisiert erschienene Studie „Was der Mensch braucht“. Deren Vorgängeruntersuchungen hatten es in der Vergangenheit bereits unter anderem bis in den Parallelbericht zum UN- Staatenbericht über den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geschafft. Jens Wernicke sprach mit Lutz Hausstein, der Urheber der Studie ist.

Herr Hausstein, Sie sind in Ihrer soeben veröffentlichten Studie „Was der Mensch braucht“ der Frage der Hartz IV-Regelbedarfe nachgegangen. Wieso denn das: Die sind doch regierungsamtlich durchgerechnet und verfassungsrechtlich bestätigt, so, wie sie sind – und also vollkommen auskömmlich?

Die Praxis sieht leider vollkommen anders aus. Viele Menschen können sich unter den Bedingungen von Hartz IV auch einfachste Selbstverständlichkeiten nicht mehr leisten, weil sie zu wenig Geld zur Verfügung haben.

350.000 Haushalten wurde 2013 etwa der Strom abgeschaltet, weil sie die Rechnung nicht mehr bezahlen konnten. Und 1,5 Millionen Menschen müssen jede Woche den für sie demütigenden Weg zu einer Lebensmitteltafel antreten, weil ihr Geld nicht fürs Essen reicht. Man muss sich diese Zahl einmal auf der Zunge zergehen lassen: 1,5 Millionen Menschen! Inzwischen gibt es mancherorts sogar Wartelisten von bis zu zwei Jahren bei den Tafeln. Dies sind alles andere als Zeichen dafür, dass der von der Politik als Existenzminimum deklarierte Betrag auch wirklich existenzsichernd oder gar auskömmlich ist. weiterlesen

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Crowdfunding für die Studie „Was der Mensch braucht“ 2014 / 2015

Vor dem Hintergrund beständig steigender Armut – Alters- und Kinderarmut ebenso wie Armut bei Arbeitslosen und Empfängern von Niedriglöhnen, aber auch bei Alleinerziehenden – ist es zwingende Voraussetzung für eine soziale Mindestsicherung, staatlich erzeugte Armut durch ein zu niedrig festgelegtes Existenzminimum zu vermeiden. Mit der Erstellung dieser Studie auf Warenkorbbasis wird das Existenzminimum durch überregionale Recherchen sowie begleitende Umfragen realistisch ermittelt. Im Gegensatz zur EVS-Statistikmethode, die die Bundesregierung zur Ermittlung des Regelbedarfs verwendet, orientiert sich die Studie an der, auch grundgesetzlich vorgeschriebenen, Sicherung des Bedarfs der Hilfebedürftigen, indem sie auch wirklich eine Bedarfsermittlung vornimmt.

Mit Ihrer finanziellen Unterstützung möchte ich die Studie „Was der Mensch braucht“ für das Jahr 2014/2015 erheblich ausbauen und der Öffentlichkeit sodann kostenlos zur Verfügung stellen. Dank Ihrer Mithilfe könnte die fundierte Studie bald als Vorlage für eine verfassungskonforme Mindestsicherungshöhe dienen.

 

Rezensionen:

 

Privatisiert die Regelsatzermittlung

Von Roberto De Lapuente

Nein, Lutz Hausstein macht nicht dasselbe wie die offiziellen Regelsatz-Berechner. Er macht es richtig. Muss nachbessern, was die amtlichen Rechengenies verpfuschen. Was sie verhunzen müssen von Dienst wegen. Aus diesem Grund rechnen sie ja eigentlich nur. Um zu sagen, dass das Leben eigentlich billig sei. Der Regelsatz daher genau richtig. Aber Hausstein zeigt auf, dass billig nur die Tricks und die Schlichen sind, mit denen diese Rechenkünstler die Lebenshaltungskosten kleinrechnen.

Im Jahr 2010 legte Lutz Hausstein erstmals seine Studie „Was der Mensch braucht“ vor. In ihr errechnete er einen realistischen Regelsatz, gemessen an den wirklichen Kosten, die ein Mensch in seinem Leben in Deutschland so hat. Und die er eben nicht nur hat, wenn er stolzer Besitzer eines Lohnarbeitsplatzes ist, sondern auch, wenn er in (Langzeit-)Arbeitslosigkeit verharrt. Denn ob man es glaubt oder nicht, die Kosten des Alltags minimieren sich ja nicht, nur weil man aussortiert wurde. Selbst wenn sich das soziale Leben mehr und mehr einstellen sollte – und das gelingt Hartz IV von ganz alleine nach einer gewissen Zeit -, bleiben da Kosten. Ja, das Leben kostet sogar, wenn man es quasi nur zwischen Wohnzimmer und Diele verbringt.

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10 Jahre Hartz IV – Die Weihnachtskarte, ein dickes Danke und eine Warenkorbstudie zu den Regelsätzen

Von Jens Berger

Unlängst versandte die Bundesagentur für Arbeit an Parteien, Fraktionen und Abgeordnete eine Weihnachtskarte mit der Aufschrift „10 Jahre Hartz IV“. Darauf zu lesen waren die Lorbeeren, die Sahnestückchen, ja das Fruchtfleisch, aus dem Hartz IV aus der Sicht seiner Macher zu bestehen scheint.

„10 Jahre Hartz IV- 12.000.000 mal haben Menschen einen Arbeitsplatz gefunden – 200.000.000 mal wurde mit Menschen über ihre Zukunft gesprochen – 1.200.000 Menschen sind weniger in der Grundsicherung …“

… dafür beziehen 4.394.451 Menschen Arbeitslosengeld II und müssen ein Leben am oder gar unter dem Existenzminimum führen. Weiß Gott keine frohe Botschaft zum Weihnachtsfest.

Und wo wir schon bei Weihnachten sind – die obersten Politiker haben von der Bundesarbeitsagentur eine schicke Hochglanzkarte mit PR-Slogans bekommen. Was aber haben Hartz-IV-Empfänger von der Bundesagentur zu Weihnachten bekommen? Für Geschenke darf der Hartz-IV-Empfänger gern selbst sparen. Da reicht es nicht einmal für eine Weihnachtskarte an die Lieben. Ein Weihnachtsessen? Fehlanzeige! Über den Weihnachtsgeschenken von Oma und Opa schwebt immer das Damoklesschwert des Sachbearbeiters, der subjektiv entscheiden darf, ob das Geschenk „angemessen“ ist oder nicht. Frohes Fest!

Dabei werden Jahr für Jahr seit dem Bestehen der Krake Hartz IV die Regelsätze kritisiert, beklagt, angezeigt, analysiert und (fast) alle sind sich einig: Sie sind zu niedrig bemessen. Wie kommt man überhaupt auf 391 Euro monatlichen Regelsatz, wie ermittelt man denn, wie viel Joghurt so ein Armer monatlich essen und was der kosten darf? Woher wissen denn Politiker, wo Armut anfängt, wo sie aufhört und ob man mit ihr leben kann?

Weiterlesen auf den NachDenkSeiten


Ankündigung: Untersuchung „Was der Mensch braucht“ 2014 zur Höhe der sozialen Mindestsicherung

In den nächsten Wochen wird die aktuelle Ausgabe der Untersuchung „Was der Mensch braucht“ zur Höhe des AlG2-Regelbedarfs erscheinen. Da die Studie von Jahr zu Jahr aufwändiger geworden ist, wird sie ab diesem Jahr im Rahmen eines Crowdfunding-Projekts veröffentlicht und anschließend uneingeschränkt kostenlos zur Verfügung stehen. Erstmals werde ich die Untersuchung auch unaufgefordert an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und an die Bundesagentur für Arbeit adressieren.

Die diesjährige Untersuchung wird sich noch intensiver mit den unterschiedlichen Berechnungsmethoden, dem Ziel der Bedarfssicherung sowie den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der gezielten Kleinrechnung des Existenzminimums beschäftigen. Die von der Bundesregierung präferierte EVS-Statistikmethode wird der Sicherstellung des notwendigen Bedarfs hingegen nicht gerecht und zementiert stattdessen Armut.

Die beständige Zunahme von Armut in Deutschland und die sich steigernde Spaltung in Arm und Reich hat in den Hartz-Gesetzen und der ungenügenden Bedarfssicherung eine ihrer wesentlichen Ursachen.

Armut darf kein Tabuthema werden! Unsere Gesellschaft braucht eine breite Bevölkerungsdebatte über Armut und ihre Ursachen! Armut ist nicht zwangsläufig.


Was der Mensch braucht – 2010

Empirische Analyse zur Höhe einer sozialen Mindestsicherung

auf der Basis regionalstatistischer Preisdaten

Stand: Januar 2010

INHALTSVERZEICHNIS

I. Vorbemerkungen: 3

II. Grundlagen der Berechnung: 3

III. Grundannahmen: 4

IV. Bedarfsermittlung: 5

V. Erläuterungen einzelner Positionen: 8

  • A. Reis, Kartoffeln, Eierteigwaren: 8
  • B. Obst und Gemüse: 8
  • C. Alkoholika, Tabakwaren: 8
  • D. Zusatzbeitrag Krankenversicherung: 8
  • E. Waschmaschine: 8
  • F. Computer, Monitor, Drucker: 8
  • G. Transportpauschale: 8
  • H. Geschirr: 8
  • I. Telefonanschluss, -gebühren, Internetanschluss, -gebühren: 8
  • J. Mitgliedsbeitrag Sportverein: 9
  • K. Monatskarte Nahverkehr: 9
  • L. Reparaturen: 9
  • M. Strom: 9
  • N. Privat-Haftpflicht- sowie Hausrat-Versicherung: 9
  • O. Eigenanteil Wohnungsinstandhaltung: 9

VI. Auswertung: 9

VII. Bewertung: 11

VIII. Schlussfolgerungen: 12

(-2-)
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I. Vorbemerkungen:

Mit der Einführung der aktuellen Sozialgesetzgebung durch die rot-grüne Regierungskoalition im Jahr 2005 entstand in breiten Teilen der Bevölkerung massiver Widerstand dagegen, der sich sowohl gegen grundsätzliche Annahmen in diesen Gesetzen wie auch gegen eine Vielzahl einzelner Inhalte und Bestandteile richtete. Dieser zu Beginn noch in der Öffentlichkeit ausgetragene Widerstand, auch in Form größerer Demonstrationen in mehreren Städten, ebbte im Laufe der Zeit spürbar ab. Dies dürfte in nicht unerheblichen Teilen auf die konsequent „aussitzende“ Haltung der Politik zurückzuführen sein, der der öffentliche Widerstand scheinbar machtlos ausgeliefert war und noch heute ist.

Die nachfolgende empirische Analyse befasst sich explizit mit den Inhalten und der Höhe einer sozialen Mindestsicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Grundlagen betreffen alle hier wohnhaften Personen – Arbeitslose, geringfügig Beschäftigte, prekär Beschäftigte, Migranten, Rentner oder weitere betroffene Bevölkerungsgruppen. All diese müssen auch unter den Verhältnissen in der Bundesrepublik ihr Dasein gestalten und benötigen dafür auch die entsprechenden materiellen Voraussetzungen.

Angrenzende Inhalte wie Sanktionierungen als auch deren rechtliche Grundlagen, Ein-Euro-Jobs, die Praxis der sogenannten Bedarfsgemeinschaften und weitere kritisierte Bestandteile, bleiben hierbei unbetrachtet. Die Betrachtung möglicher Einschränkungen bzgl. Art.11, Art.12, Art.13 GG sowie der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen bedürfen einer separaten Untersuchung. Leitgegenstand dieser Untersuchung ist ausschließlich die Frage:

„Wieviel braucht ein Mensch in der Bundesrepublik Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt zum Leben und damit zur Wahrung seiner grundgesetzlichen Rechte nach Art.1, Art.2 sowie Art.3?“ weiterlesen


Beachtung einer „Studie“

um

„Die Höhe der sozialen Mindestsicherung“ der TU Chemnitz

von Prof. Dr. Friedrich Thießen, Diplom-Kfm. Christian Fischer, 31 Seiten, 2008

0. Vorbemerkung

Die Autoren Friedrich Thießen und Christian Fischer befassen sich in der Studie1 mit der Höhe des Regelsatzes von Hartz-IV unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sie unterscheiden zwei grundsätzliche Herangehensweisen, einen „Maximumfall“ sowie einen „Minimumfall“. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, der aktuelle Regelsatz von 351 Euro den von ihnen errechneten Maximumfall von 278 Euro deutlich überschreite, den Minimumfall, 132 Euro,  sogar um ein Vielfaches.

Folgend haben sich die Autoren der vorliegenden Beachtung der Studie anstelle eines Gutachtens befleißigt, durch eine umfassende Auszugsauswahl und deren Bearbeitung, eine fundierte Kritik anhand einer solchen realitätsfernen Grundlage vorzulegen.

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1 „Die Höhe der sozialen Mindestsicherung“, Friedrich Thießen, Christian Fischer, u.a. erschienen in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik (Lucius & Lucius, Stuttgart), Jg. 57 (2008), Heft 2 S. 145-173

1. Falsche Grundannahmen der Studie

Schon bei der Definition dieser beiden selbstgewählten Kategorien muss festgestellt werden, dass von falschen Determinanten ausgegangen wird. So wird der Maximumfall wie folgt beschrieben:

„Die Bestimmung der Obergrenze ergibt sich zwangsläufig aus den Verbrauchsmengen nicht sozialhilfeabhängiger Bürger, d.h. den Mengenverbräuchen der allgemeinen Bevölkerung. Es ist nicht vorstellbar, dass die soziale Mindestsicherung über dem verfügbaren Einkommen eines größeren Teils der Bevölkerung liegen kann.“

Hierbei bleibt völlig unberücksichtigt, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von abhängig Beschäftigten inzwischen in einem Lohnniveau arbeiten muss, welches sich nur geringfügig vom Regelsatz unterscheidet. Hinzu kommt die seit einigen Jahren explosionsartig ansteigende Zahl der sogenannten Aufstocker, welche zusätzlich zu ihrem (niedrigen) Lohn auf soziale Leistungen angewiesen sind. Gleichzeitig findet eine nicht zielführende Verwischung der Begriffe von Menge und Einkommen statt.

Im Folgenden werden exemplarisch einige Aspekte der zugrunde liegenden Studie herausgegriffen, um sie einer näheren Betrachtung zu unterziehen. weiterlesen